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von Sandra Weihs

aberratio

 „Man muss noch Chaos in sich haben,
um einen tanzenden Stern gebären zu können.“
 

Dieses Zitat von Friedrich Nietzsche stelle ich meinem Versuch, für Joanna Buchowskas Malerei Worte zu finden, voran. Schon beim Betreten des Ateliers in den letzten Monaten hatte ich immer wieder das Gefühl, über die steile Treppe hinauf in den Himmel zu gelangen. Joannas Bilderwelt mutet an, als sei sie von einem anderen Stern.
 

Ich traf Joanna Buchowska am ersten Februar des Jahres 2016. Sie schien etwas angespannt, was ich damals jedenfalls war. Was ich sofort bemerkte, war diese Weltnervosität an ihr, dieses Schauen, das zeigte, ich bin außerhalb der Normalität, ich betrachte die Dinge anders als ihr. Eine gewisse Distanz lag in ihrem Blick, ein Überschauen. Wir befanden uns alle an diesem Tag in einer Art Übertritt von der einen – normalen, mit Alltäglichem belasteten Welt – in eine andere – paradiesische Welt der Kreativität. Und mir schien, als würde Joanna über den Dingen schweben, um sich nach und nach, Tropfen für Tropfen, in die neue Form des Arbeitens hineinzuregnen.


Nun besuchen wir hier, nach Monaten des Kennenlernens, nebeneinander Arbeitens und unzähligen Gesprächen mit Wein und Käse im wundersamen Paradies Herrenhaus Edenkoben, Joannas Ausstellung mit dem Titel aberratio. Ich bin Joanna dankbar, für dieses, ihrer Ausstellung übergeordnete Wort. Seine Bedeutung lässt sich aus seiner Herkunft ablenken – der lateinische Begriff aberratio bedeutet „die Ablenkung“, das Verb aberrare „abirren, sich irren, abkommen, abschweifen“, und meint allgemein eine Abweichung von einem Normalzustand. Es fasst auf subtile Art das zusammen, was ich bei der Betrachtung von Joannas Bildern diffus erfahren konnte, ohne es anfangs derart zu bezeichnen. Eine Art Ablenkung des Schauens von der Realität in andere Sphären, andere Welten, vielleicht in die Wirklichkeit eines weit entfernten Sterns. 

Das Abschweifen vom Gesehenen beschreibt auch Joannas technische Herangehensweise. Ihre Methode ist die Abstraktion. Ein gewöhnliches Foto, das eine Landschaft, ein Gebäude zeigt, wird mit herausgeschnittenen Abbildungen aus Hochglanzmagazinen collagiert. Motive sind Stoffe, Tiere, Treppen, Schuhe, und vieles mehr. Somit verwandelt sich unsere fassbare Wirklichkeit in eine Welt der Flächen, Formen, Farben und Linien, in eine Parallelwirklichkeit sozusagen. Die Collagen wiederum werden dann mit Ölfarbe auf die Leinwand übertragen. Die Zweidimensionalität der verschiedenen Komponenten wird nun um eine dritte Dimension erweitert: Der Raum, der in Joannas Bildern nicht immer den Gesetzmäßigkeiten der Perspektive folgt, entsteht. Dadurch entwickelt sich eine vollkommen neue Welt der Anschauung.


Das Wort aberratio wird in verschiedensten Disziplinen verwendet, um Abweichungen von einer Norm zu beschreiben. In der Genetik beschreibt es eine seltene, meist als Krankheit zu bewertende Abänderung der Chromosomenzahl oder eines einzelnen Chromosoms bei einem Organismus. In der Medizin bezeichnet aberratio eine Geistesstörung. Ist man jedoch körperlich oder geistig beeinträchtigt für eine bestimmte Wahrnehmung, so bedeutet dies auch immer, eine andere Sichtweise durch das Einnehmen einer abnormen Perspektive zu bekommen – sei es aus einer sitzenden Position, etwa aus einem, vom Rollstuhl heraus, gerichteten Blick – oder einer geistigen Anschauung heraus, durch Verzerrungen des Wahrgenommenen, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt. 


Joanna kann sich als Malerin auf eine andere Art der Anschauung einlassen. Wenn man so will, ist es eine Art behinderte Wahrnehmung. Blättert sie in den Hochglanzmagazinen, sieht sie nicht nur die angepriesenen Konsumartikel, wie sie sich dem normalen Leser erschließen. Joannas Blick geht über die Oberfläche hinaus. Sie sieht nicht nur das durch Präsentation nach Aufmerksamkeit verlangende Produkt. Sie distanziert ihren Blick und lenkt die Aufmerksamkeit auf Formen, Farben, Material, Struktur und Stoff, um diese dann auf das Foto zu übertragen. Der zweite Schritt, den sie macht, ist diese Oberfläche zu durchbrechen, indem sie die einzelnen Materialien aus dem Angebot herausschneidet und sie in ungewohnter Anordnung arrangiert. Sie kleiden eine hintergründige Landschaft, ein Gebäude, oder eine Himmelsaussicht neu ein. Das Exakte, das Klare, die Normalität ist vollkommen entschwunden, denn die Bilder sind aus Versatzstücken der Wirklichkeit komponiert zu einer ganz eigenen Traumrealität. 


Joannas Bilder wirken auf mich, als würden sie meinen Blick auf die Wirklichkeit, wie wir sie kennen, beeinträchtigen, mir so aber auch eine ganz andere Perspektive schenken. Und diese Wahrnehmungsverirrung in neue und ungekannte Aussichten, würde ich als wesentlich für jede Art der Betrachtung von Wirklichkeiten bezeichnen, damit Dogmen, das Diktat der Realität und verkrustete Anschauungen sich in neue Denk- und Betrachtungsmöglichkeiten ausweiten können.


Schauen wir aber auch in eine andere Disziplin: In der Optik wird mit aberratio eine Abweichung von der idealen Abbildung aufgrund von Abbildungsfehlern des jeweiligen optischen Apparates gesprochen. Der optische Apparat des menschlichen Körpers ist das Auge. Doch das Bild entsteht erst im Gehirn, durch Einordnung, Kategorisierung. Durch Ausblenden von Unwichtigem und den Fokus auf das für den Moment Bedeutsame. Die Rezeption der Farben passiert in den Stäbchen und Zapfen der Netzhaut, beide wandeln Lichtenergie in elektrische Signale um. Doch das, was wir wahrnehmen, spiegelt nicht das, was wir tatsächlich sehen. 


Joannas Bilder verdeutlichen mir diese reine Art des Sehens. Es ist, als würde man nicht mehr selektiv wahrnehmen, also im Gehirn eine unbewusste Entscheidung über Vor- und Nachrangiges, Wichtiges und Unwichtiges, Peripheres oder Zentrales treffen – es findet eine Gesamtschau unter neuer Ordnung der Dinge statt. Ist nicht auch das fehlerhafte – das tatsächliche – Sehen für die Entwicklung neuer Denk- und Betrachtungsweisen wesentlich? 


Nun lassen Sie uns noch in die Astronomie eintauchen. Hier beschreibt die Aberration eine Erscheinung, bei der ein Stern in der Richtung der Bewegung des Beobachters verschoben erscheint. Der Winkel der Abweichung vom vermuteten zum tatsächlichen Sternort ist am größten, wenn sich die Erde genau senkrecht zur Richtung des vom Stern kommenden Lichtstrahls bewegt. Wenn wir die Bilder Joannas mit dem betrachteten Stern gleichsetzen, hieße das, dass wir das Fernrohr nicht auf den tatsächlichen Sternort richten müssten sondern auf die Erscheinung des Sterns am Himmel. Ich ahne, dass die tatsächliche Sternverortung Joannas Bilder nur dann möglich ist, wenn wir unseren Blick nicht fokussieren, sondern weiten. Schauen wir nur starr und gerade hinein, eröffnet sich uns vielleicht der Ort nicht, der sich zeigt, wenn wir offen und weit bleiben, für das, was sich zeigen will. Wenn wir eines ihrer Gemälde in all seiner Präsenz wirken lassen, wir sogar hindurchsehen, um die Oberfläche zu durchbrechen, wie Joanna es auch methodisch angeht, entdecken wir vielleicht einen Sternort. 


In den Bildern der Malerin findet man keinen Organismus. Wenn die Andeutung einer Person feststellbar ist, so setzt sich diese aus der Konstellation alltäglicher Dinge zusammen. Der Schuh könnte einen Kopf darstellen, der Oberkörper ist geformt aus einem Torso, einem Dummy, einer Ankleidepuppe. Tiere tragen eine Maske, das Gefieder eines Vogels besteht aus verschiedensten Stoffen und Kleidern. Bei der Betrachtung habe ich mich oft gefragt, ob unsere Welt bereits eine verdinglichte ist, ein von der Menschlichkeit entfremdetes Leben der Sachen. Wo das Ich bin festgeschrieben wird durch das, was ich trage, anstatt dessen, was ich fühle, denke und wie ich handle, einer Kleiderpuppe ähnlich. Etwas ganz Wesentliches entstand in mir: Eine Auseinandersetzung mit der Frage: Wer bin ich im Verhältnis zu diesem Bild. Wer bin ich im Verhältnis zur angebotenen Wirklichkeit?


Die Bilder von Joanna sind aufdringlich. Sie fordern Platz, machen Lärm, verwirren und stürzen sich auf den Betrachter. Es scheint mir, als würden sie eine Aura erschaffen, einen Raum, in den nur Eingeweihte eintreten dürfen. Zuerst muss man sich entscheiden, ob man diese neue Welt der Anschauung betreten will, sich einlassen will auf eine neue fehlerhafte Art des Sehens. Entschließt man sich jedoch an dieser Art der Anschauung teilzuhaben, tritt man in einen vollkommen uneindeutigen Raum, den die Bilder erschaffen, wird man von den Details förmlich angezogen und kann sich darin verlieren, verirren. Oft schien es mir, als würde ich hinter eine Oberfläche blicken, eine Art Innenschau vollziehen, und Ordnung im Chaos entdecken. Durch Ablenkung eine Ahnung von der wesentlichen Struktur der Wirklichkeit zu bekommen.


„Man muss noch Chaos in sich haben,
um einen tanzenden Stern gebären zu können.“


Dies ist der Schritt, den auch Joanna in der Betrachtung der Normalität geht und in ihre Bilder übersetzt: Sie glaubt nicht, was sie sieht. Die vorgegebene Ordnung zu verwirren, sich im neugewonnen Chaos verirren, sich ablenken lassen – aberratio – um eine neue Ordnung in Form eines tanzenden Sterns zu kreieren. 


 

Begleittext zur Ausstellung im Herrenhaus Edenkoben
am 22. Mai 2016

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